konsortium.Netz.kultur

konsortium.Netz.kultur ist der Zusammenschluss der österreichischen Initiativen an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.

Zurück in die Zukunft

us: Kulturrisse, Heft 3, September 2007

Von der Notwendigkeit, mediale Utopien zu entwerfen. Clemens Apprich

Im Rahmen der diesjährigen Ars Electronica wurden erstmals
Zwischenergebnisse des Forschungsprojekts "Netzpioniere.at" vorgestellt,
welches vom Ludwig Boltzmann Institut Medien.Kunst.Forschung. bis Ende
2009 anberaumt ist. Die kunst- und medienwissenschaftliche Aufarbeitung
österreichischer Netzprojekte seit den frühen 1990er Jahren reicht dabei
von der exemplarischen Wiederveröffentlichung der Website von THE THING
Vienna (1993-2004) bis hin zu juristischen und technischen
Machbarkeitsstudien zur Repräsentation und Kontextualisierung von Public
Netbase
(1994-2006) und Etoy (1994-heute). Angesichts der schrumpfenden
Budgets für die aktuelle Netzwerkkunst ergibt sich daraus eine paradox
anmutende Situation: Zwar scheint die Musealisierung von netzbasierter
Kunst durchaus förderungswürdig, die Produktion derselbigen aber nicht.
Im Folgenden sollen Werdegang und aktuelle Schwierigkeiten der
österreichischen Netzkunst betrachtet werden, um somit einen Blick in
deren Zukunft zu werfen.

Musealisierung

Schon zu Beginn der künstlerischen Medienarbeit standen utopische Ziele,
die in einer Reihe von Manifesten und Entwürfen der 1920er Jahre zum
Ausdruck kamen (Bertolt Brecht, Dziga Vertov, László Mohol-Nagy u.a.).
Diese nahmen auf theoretischer Ebene vorweg, was dann im Laufe der
1960er Jahre unter dem Namen Medienkunst Einzug in die künstlerische
Praxis hielt. Für Dieter Daniels, den Leiter des LBI
Medien.Kunst.Forschung., ergab sich daraus eine Verbindung von
technischer und künstlerischer Innovation, die zum Leitmotiv der
internationalen Kunstszene wurde. Die Etablierung der Medienkunst als
eigenständige Kunstform erfolgte dann im Laufe der 1980er Jahre, wobei
dieser Prozess aus Mangel an geeigneten Präsentationsmöglichkeiten von
einer ersten Institutionalisierungsphase begleitet wurde. Abseits der
traditionellen Kulturmetropolen entstanden so neben dem Ars Electronica
Festival in Linz (1979), unter anderen die Videonale in Bonn (1984) oder
die Artec in Nagoya (1989).

Die digitalen Technologien führten dann in den 1990er Jahren zu einer
radikalen Entspezialisierung der Medienkunst, was eine künstlerische wie
ideologische Konvergenz zur Folge hatte. Nach der Radioutopie der 1920er
Jahre und der Videoutopie der 1960er Jahre brach nunmehr eine allgemeine
Interneteuphorie aus, die wie ihre Vorgänger eine Demokratisierung der
Medien versprach. Die Netzkunst entwickelte sich damit abseits der
bereits etablierten und institutionalisierten Medienkunst und führte vor
allem in Österreich zu einer Bündelung erster Pionierprojekte. Im
Spannungsverhältnis von Kunst, Technologie und Gesellschaft schufen
diese offene Plattformen, welche zur Bewusstseinsbildung gegenüber den
neuen Kulturtechnologien beitragen sollten. Neben der Artikulation
einzelner künstlerischer Positionen ging es dabei stets um die Forderung
nach "public access", also die Möglichkeit einer partizipativen Nutzung
der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Aufgrund der
radikalen Kritik an den Produktions- und Rezeptionsstrukturen der
bisherigen Medienkunst erschien die Netzkunst in den Augen von Politik,
Verwaltung und Museen lange Zeit als anarchischer Bereich, den es zu
disziplinieren gelte.

Im Sinne eines natürlichen Antipoden zum bestehenden Museumsformat sahen
sich die Initiativen als offene Kunsträume, die mittels Mailinglisten,
schwarzen Brettern, kooperativen Websites und Kunstservern eigene
Netzwerkcommunities bildeten. Um den Wettlauf mit der Zukunft nicht zu
verlieren und damit den Entwicklungen im freien Kunstbereich nachkommen
zu können, wurden schließlich staatlich subventionierte "Museen" für
netzwerkbasierte Kunstformen gegründet: das Ars Electronica Center in
Linz (1996), das Intercommunication Center in Tokio (1997) oder das
Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (1998). Diese
zweite Phase der Institutionalisierung ermöglichte es der Kulturpolitik
nunmehr verstärkt, ihre Hand nach einer bis dahin weitgehend autonom
agierende Szene auszustrecken. Dabei wurde die museale Präsentation
zumeist von der Einrichtung marktorientierter "Zukunftslabors"
begleitet, welche die neuen künstlerischen Praxen für ökonomische
Anwendungen fruchtbar machen sollten. Mit Hinweis auf die kommerziell
erfolgreiche Inszenierung, verloren die widerständigen Plattformen damit
sukzessive an Subventionsboden.

Förderpolitik

Die Tendenz hegemonialer Vereinnahmung fand in Österreich 2005 ihren
vorläufigen Höhepunkt, als im Auftrag der Wiener Kulturabteilung (MA7)
ein partizipatives Fördermodell zur Finanzierung der Netzkultur
ausgearbeitet wurde. Das Konzept von NetzNetz sah dabei ursprünglich
einen softwaregestützten Vergabemodus vor, der eine gegenseitige
Bewertung der SpielteilnehmerInnen ermöglichen sollte. Doch wenn
FördergeberInnen zugleich auch FördernehmerInnen sind, ist der Streit
zumeist schon vorprogrammiert. Mittlerweile ist das
"Mana-Community-Game" als Onlinetool Geschichte, der Koordinator
untergetaucht, die Diskussionsliste kurz vor der Stilllegung und die
KritikerInnen vor Gericht. Von der früheren Drohung des Wiener
Kulturstadtrates Mailath-Pokorny (SPÖ), das kulturpolitische Experiment
auf andere Förderbereiche auszudehnen,ist heute nichts mehr zu hören.
Wer es überhaupt noch auf sich nimmt, bei dem Vergabeprozedere
mitzumachen, sieht sich bald einer Vielzahl an Schwierigkeiten
ausgesetzt. Zunächst scheint es für Außenstehende beinahe unmöglich, die
relevanten Informationen

in der digitalen Flut von NetzNetz zu finden. Hat man/frau sich
schließlich durch alte wie neue Websites und Mailinglisten gequält, sind
die Mühen noch lange nicht vorbei. So wurden bei der letzten
Projektförderung im März dieses Jahres die Spielregeln mitten im
Anmeldeprozess geändert, sodass Einreichende nicht einmal mehr die
Möglichkeit hatten, ihr Recht auf die angeblich zentrale Mitbestimmung
auszuüben. Wer Teil der Community sein soll und somit überhaupt erst in
die Nähe von Fördertöpfen gelangen darf, entscheidet letztlich die
Community selbst. Was früher in Abgrenzung zu den kulturpolitischen
EntscheidungsträgerInnen geschah, führt heute zu internen
Verteilungskämpfen um die ohnehin schon knappen Ressourcen.

Dass das vermeintlich egalitäre System von NetzNetz dabei schnell zu
Ausschließungstendenzen beiträgt, zeigt die Vergabe der diesjährigen
"Annual Convention". So erhielt der Verein Faktum-Flakturm Anfang 2007
durch Beschluss des Community-Plenums den Zuschlag von 100.000 Euro, um
damit das "Festival der Wiener Netzkultur" auszutragen. In Kooperation
mit Günther Friesinger (monochrom) sollte die Veranstaltung im
"un_space" des seit Jahren leer stehenden Flakleitturms Arenbergpark
stattfinden, welcher bereits im Vorjahr für zwei große Ausstellungen
geöffnet werden konnte. Nachdem dem Verein dann Ende Februar von Seiten
der Stadt Wien das Prekarium zur Nutzung des Turms entzogen wurde, war
es auch mit der Solidarität bei NetzNetz vorbei. Anstatt das couragierte
Projekt zur Öffnung dieses Wiener Unorts zu unterstützen, übernahm
Friesinger kurzerhand das gemeinsame Konzept für sein
"paraflows"-Festival und ging damit zum Gefechtsturm direkt nebenan.
Dort liegt nämlich das Gegenwartskunstdepot des Österreichischen Museums
für angewandte Kunst (MAK), dessen Direktor, Peter Noever, schon
mehrmals versuchte, seinem etwas behäbig auftretenden Haus mithilfe von
Netzkunst einen jungen Anstrich zu verleihen.

Regierungstechniken

Während die Frage der Selbstverwaltung für die frühen NetzpionierInnen
noch zentraler Bestandteil ihrer Arbeit war, haben wir es heute
zunehmend mit Scheinautonomien zu tun. Besonders im so genannten
Kreativbereich genügt oftmals der Hinweis auf flexibilisierte
Arbeitsweisen, um damit die Herrschaft im weitgehenden Einverständnis
mit den ProduzentInnen durchzusetzen. Durch neue Formen der
Selbstregierung sollen so die Grenzen zwischen Staatsapparaten und
Zivilgesellschaft aufgelöst und die demokratiepolitische Verantwortung
auf scheinbar frei agierende Individuen und Institutionen übertragen
werden. Konnte man bei "paraflows" des Vorjahres noch einen Workshop
unter dem etwas bieder klingenden Titel "Zusammenarbeit mit Politik und
Verwaltung" besuchen, wird das diesjährige Symposium "Grenzflächen des
Meeres" ganz im

Zeichen dieser neuen Regierungstechniken stehen: "Was das Meer
metaphorisch für das Verhältnis von Mensch und Technik leistet, leistet
das Schwimmen für die Frage nach der Internalisierung von Ordnung." Die
Selbstdisziplinierung wird damit zur Überlebensstrategie von Kunst- und
Kulturschaffenden, sofern sie die Vergabe von Fördergeldern nicht bloß
als Spiel, sondern als notwendiges Übel ihrer Arbeit ansehen. Damit
einher geht eine schleichende Entpolitisierung der Kunstproduktion,
welche die utopischen Vorstellungen einer partizipativen, weil
Öffentlichkeit schaffenden Medienpraxis auszusparen droht. An der
Schnittstelle von Wirtschaft und Kultur entsteht so eine
Kreativindustrie, die der freien Szene mit Verweis auf die alles
bestimmende Standortpolitik zusätzlich Konkurrenz um die Förderungen
macht. Dem allgemeinen Kommerzialisierungstrend folgend, wurden so
vergangenen Juni auf Initiative der Telekom Austria zwei
Innovationslabors für Netzkultur im Wiener Museumsquartier (MQ) und
Bertolini Haus in Dornbirn eröffnet. Die "net.culture.labs" werden mit
ca. 90.000 Euro subventioniert und sollen vor allem junge, kreative
Leute für den Telekomkonzern zugänglich machen. Dass dieser nunmehr
direkt neben der ebenfalls im MQ ansässigen Datenschutzorganisation
Quintessenz Platz genommen hat, schien den NetzNetzlern aber nur ein
müdes Posting wert.

Am Wiener Standort wird es neben dem Lab zudem noch einen eigenen
"Space" für die Ars Electronica geben, deren künstlerischer Leiter,
Gerfried Stocker, damit seine eigene Spielwiese in Österreichs größtem
Kulturareal erhält. Dort, wo ursprünglich neue Praxen zeitgenössischer
Kunst entstehen hätten sollen, werden nun marktgerechte Applikationen
für das "Zukunftsoffice" entwickelt. Die Arbeit der Pionierprojekte löst
sich also zunehmend im medialen Alltag auf, während ihre kritischen
Inhalte im Museum verschwinden. Damit die Vergangenheit der Netzkunst
allerdings nicht ihre eigene Zukunft frisst, die Budgets zu ihrer
Musealisierung und Kommerzialisierung also nicht der aktuellen
Produktion entzogen werden, braucht es praxisorientierte Archive statt
bloßer Werkschauen und -stätten. Erst wenn es gelingt, eine Vielfalt an
kulturellen Praxen lebendig zu halten und damit die Effekte einer
Instrumentalisierung künstlerischer Arbeit zu unterlaufen, lassen sich
auf Grundlage der alten Utopien vielleicht auch wieder neue schaffen.


Clemens Apprich studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Wien
und ist derzeit freier Mitarbeiter am LBI Medien.Kunst.Forschung.

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