konsortium.Netz.kultur
konsortium.Netz.kultur ist der Zusammenschluss der österreichischen Initiativen an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.
Let it R.I.P.!
Nachruf auf einen Mythos ohne Ende: Public Netbase, 1994-2006.
Brian Holmes
(Aus: Kulturrisse, Heft 2, Mai 2006)
Es scheint eine trügerisch einfache Aufgabe zu sein, die Wahrheit
unserer post-demokratischen Gesellschaften zu erschaffen. Tausende
Methoden liegen griffbereit: Versende postalisch ein Sperrfeuer von
Hochglanzmagazinen, die auf jedem Kaffeetisch landen. Treffe
Vorkehrungen für eine Schlagzeile in einer auflagenstarken
Lokalzeitung. Belege im Vorhinein einen Platz in der Nachrichtensendung
zur Haupt-Verdauungs-Sendezeit. Inszeniere einen Aufsehen erregenden
Event im öffentlichen Raum. Organisiere eine objektive Meinungsumfrage,
die die Popularität einer beliebigen Frage bestätigt, die Du gerade
erfunden hast. Jedes größere Unternehmen und jede politische Partei
schüttelt diese Dinge auf Knopfdruck aus dem Ärmel.
Der amerikanische Publizist Edward L. Bernays – der im "Alten Wien"
geboren wurde – formulierte es folgendermaßen: "Der Ingenieur des
Konsens muss Nachrichten erzeugen... Die phantasievoll inszenierte
Veranstaltung kann erfolgreich mit anderen Events um Aufmerksamkeit
konkurrieren. Berichtenswerte Events, die Menschen einbeziehen,
passieren normalerweise nicht einfach zufällig. Sie werden gut
durchdacht und geplant, um ein Ziel zu erreichen und um unsere Ideen
und Handlungen zu beeinflussen."
Bernays versuchte, Ängste vor solcher Einflussnahme zu unterdrücken.
"Das Recht auf freie Meinungsäußerung und seine demokratische
Entsprechung, eine freie Presse, haben stillschweigend unseren Katalog
der Grundrechte erweitert, um nun das Recht auf manipulative
Meinungsbildung einzuschließen." Diese erweiterten Rechte waren ein
Resultat technischen Fortschritts: "All diese Medien bieten offene
Türen zum öffentlichen Bewusstsein. Jede/r unter uns kann durch diese
Medien die Einstellungen und Handlungen unserer MitbürgerInnen
beeinflussen." Natürlich gibt es bloß eine Bedingung: Man muss vorher
auf irgendeine Art und Weise die Millionen Dollar erlangen, die nötig
sind, um die eigene Lieblingsbotschaft durch diese sperrangelweite Tür
zu tragen.
Bühne frei für das Institut für Neue Kulturtechnologien/t0 – besser
bekannt unter dem Namen seiner physischen Installation, Public Netbase.
Das Projekt wurde 1994 von Konrad Becker und Francisco de Sousa Webber
ins Leben gerufen, mit ein wenig virtuellem Raum auf dem Server des
Wiener AKH. Bald wurde die Public Netbase ein eigenständiger
Internet-Access-Provider, organisierte aber auch Workshops und stellte
Raum für Ausstellungen und Konferenzen zur Verfügung – sowie auch die
"E-scape Lounge" für all jene, die in ungezwungener Atmosphäre lesen
und entspannen wollten. Sie teilte ihre Räumlichkeiten mit dem
Diskurszentrum Depot, bevor sie 1997 selbst ein rundum ausgestattetes
Medialab im noch nicht umgebauten Museumsquartier eröffnete. Ihr
erklärtes Ziel war es, eine alternative Kultur zu schaffen und durch
das Experimentieren mit vernetzten Medien und Maschinen kritische
Analysen sowie unvorhersehbar urbane Aktionen und Situationen zu
ermöglichen. Nach ein paar Jahren der Entwicklung sollte es der Netbase
schließlich möglich sein, Bilder in jedes Wohnzimmer zu schicken, die
Tageszeitung als Informationsquelle zu ersetzen, mit dem Fernsehen in
Konkurrenz zu treten, als Katalysator für städtische Veranstaltungen zu
fungieren, schockierende Fakten auf Bildschirmen im Freien zu enthüllen
und sogar öffentliche Meinungsumfragen zu manipulieren. All das geschah
nicht durch Aufwendungen von Unsummen an Geld, sondern durch die
direkte Zusammenarbeit erfindungsreicher Geister. Als ob der sich
wütend gebärdende Leviathan der modernen Massenkommunikation noch immer
durch die verschmitzten Einwohner Lilliputs gezähmt werden könnte. Es
war eine verführerische Illusion – vielleicht beeinflusst durch die
Ziele eines von Konrad Beckers berüchtigten Performance-Stückes mit dem
Titel "Die Resozialisation des Teufels".
Welten voller Möglichkeiten
Man bekommt nicht jeden Tag die Chance, eine brandneue globale
Infrastruktur zu besetzen, die vom Militär-Infotainment-Komplex der
einzigen verbliebenen Supermacht des Planeten erfunden und
perfektioniert wurde. Trotzdem ist es seltsam, dass nur Wenige diese
Gelegenheit ergriffen haben. Indem sie – angezogen durch eine gänzliche
Abwesenheit von Bürokratie und Kontrollen – eine Webseite mit einem
frei verfügbaren Textarchiv und ihre physischen Räumlichkeiten mit
radikalen KünstlerInnen und DenkerInnen füllte, wurde die Public
Netbase der Polarstern, der magnetische Pol in den noch unerforschten
Gebieten der Netzwerkkulturen.
Hakim Bey persönlich, Autor von "Temporary Autonomous Zone", auch
bekannt als der amerikanische Schriftsteller Peter Lamborn Wilson,
eröffnete 1997 den Media Space. Luther Blissett, die italienische
AktivistInnenbewegung, die eine erstaunliche Serie von Medien-Hoaxes
hervorbrachte, für die ein obskurer englischer Fußballer die
Verantwortung übernommen hatte, wurde in der Netbase für die
Intergalactic Conference of the Association of Autonomous Astronauts
wiedergeboren. Das Critical Art Ensemble veranstaltete sein
Genexploitation Project Fleshmachine. Gruppenausstellungen wie
Robotronika, Synworld oder Interface Explorer eröffneten Wege zu den
neuesten technischen und künstlerischen Möglichkeiten, während
Konferenzen und Performance-Events wie Infobody Attack, Information
Terror (inklusive Containermodul in der Nähe der Staatsoper) und Sex,
Lies and the Internet Fragen rund um das Aufeinanderprallen von
Freiheit und Kontrolle in den aufkeimenden sozialen Traumwelten der
Netzwerke stellten. All das gipfelte schließlich in der World
Information benannten Serie von Ausstellungen und Konferenzen, die
einige Inkarnationen in Brüssel, Wien, Amsterdam, London, Berlin,
München, Helsinki, Novi Sad, Belgrad und zuletzt in Bangalore hervor
brachte. Umfangreiches Data Mining bot die Grundlage zu subversiven und
satirischen kulturellen Ausdrucksformen. Die Spezialität der Netbase
könnte umschrieben werden als "Infoskulptur dissidenter Mythologien".
Vom Nikeground zum System-77 CCR
In der internationalen Szene wird die Public Netbase wegen einiger
ihrer späteren Konferenzen im Gedächtnis bleiben: Dark Markets:
Infopolitics, electronic media and democracy in times of crisis, oder
Open Cultures: Free flows of information and the politics of the
commons – und wahrscheinlich am meisten für die erstaunliche
Ausstellungsgags, die sie am Karlsplatz inszenierte. Eines der
Meisterwerke der Taktischen Medien, Nikeground. Rethinking Space, das
gemeinsam mit der italienischen Gruppe 0100101110101101.ORG realisiert
wurde, umfasste die halblegale Installation eines knallroten, einige
Tonnen schweren und mehrstöckigen Containers mit Displays und
Informationstafeln. Diese erlaubten sich auf unheimliche Weise den
Scherz, plausibel zu machen, dass ganze Stadtviertel nach
Firmeninteresse neu geprägt werden sollten, wobei schonungslos
simplifizierte Logos in gigantischen Ausmaßen traditionelle Denkmäler
ersetzen. System-77 Civil Counter-Reconnaissance, in Kollaboration mit
dem slowenischen Künstler Marko Peljhan konzipiert, war eine zeltartige
Struktur mit einer leistungsstarken Kommunikationsantenne. Gefüllt mit
Plänen und Attrappen verkleinerter, mit Kameras ausgestatteter
Aufklärungsflieger, die von ZivilistInnen für die Gegen-Überwachung der
eindrucksvolle Spionagearsenale verwendet werden sollten, die heute an
uns allen von den Geheimdiensten und sogar der lokalen Polizei
ausprobiert werden. System-77 CCR beinhaltete auch Mitschnitte von
Polizeiaktionen der Anti-Haider Proteste des Jahres 2000, womit es eine
stark auf Wien bezogene Referenz in diese komplexen Projekte
einbrachte, die durch eine umfassende und fundierte Analyse weltweiter
Entwicklungen motiviert waren. Außerhalb Wiens hat man jedoch meist
nicht verstanden, dass der Karlsplatz selbst Schauplatz eines
größtenteils stillschweigend ausgetragenen Kampfes war. Eines Konflikts
darum, in welcher Art Stadt die Menschen gerne wohnen wollen.
Der Karlsplatz ist eine große, offene Fläche am Rand des von
TouristInnen überfluteten ersten Bezirks, von der Stadtplanung als Zone
wahrgenommen, die von Drogensucht und deviantem Verhalten dominiert
werde. Frühe Pläne sahen vor, ihn unter dem Titel "Sicherheitsplatz" in
einen bizarren Überwachungspark zu verwandeln. Letztlich wurde das
dahinter liegende Vorhaben in einer akzeptablen Verkleidung verhüllt,
und es entstand die Idee des "Kunstplatzes". Wenn KünstlerInnen und
alternative MedienmacherInnen die Okkupation eines öffentlichen Raums
inszenieren – so wie sie das mit dem Freien Mediencamp am Karlsplatz
taten, wo von Juni bis Oktober 2003 jede Nacht Events abgehalten wurden
– dann ist das Gut, das hier auf dem Spiel steht, die wahre Bedeutung
des Begriffs "Kunst" sowie die Möglichkeit, eigene Ideen und
Ausdrucksformen zu entfalten in einer Gesellschaft, die sich – im Sinn
Bernays – sehr ernsthaft an einem "Engineering the consent" gegenüber
nichts ahnenden BürgerInnen versucht.
Going out Kicking
Die Netbase ist tot, und das ist nun der Nachruf. Gründe für ihr
Verschwinden liegen wohl in einer immer noch notwendigen Kritik an
einer vernetzten, von Technologie geprägten und vorgeblich
zukunftsorientierten Gesellschaft, die es aber letztlich nie geschafft
hat, sich von ihren alten Dämonen zu befreien.
Im Jahr 2000 wurde die Public Netbase vom sozialdemokratischen
Kulturestablishment in Österreich gefeiert, als sie Kampagne um
Kampagne gegen die ultrarechte FPÖ in der Regierung inszenierte,
logistische und ästhetische Unterstützung sowie Kommunikationsstrukturen
für die Protestaktionen anbot und Diskussionsrunden wie "Der gläserne
Mensch: Grundrechte im Informationszeitalter" abhielt, die unter den
Auspizien der vorgegebenermaßen offiziellen Seite
www.government-austria.at stattfand. Im Jahr 2001 wurde jedoch die
gleiche Public Netbase zur persona non grata im umstrukturierten
MuseumsQuartier (das nun einem Bankenkomplex für Bilder gleicht). Die
wachsende Gewandtheit und Tiefe ihrer Forschungsarbeit und Projekte –
einschließlich der Online Politik-Orientierungshilfe wahlkabine.at, die
in Zusammenarbeit mit politikwissenschaftlichen Instituten entwickelt
worden war – wurde offenbar von GemeindepolitikerInnen und Förderstellen
als Gefahr wahrgenommen. Sie haben die Notwendigkeit nicht verstanden,
eine kritische Zivilgesellschaft in einer Zeit zu unterstützen, in der
Kontrollmechanismen überall mit all ihrer atavistischen Macht wieder
erstarken. Konfrontiert mit einem Projekt, das konventionelle Ästhetik
und intellektuelle Grenzen überschritten hatte, reagierte das
Establishment so wie schon zuvor gegenüber der Avantgarde, indem sie
diese fürchten und hassen und aufgrund des Mangels eines Minimums an
Verständnis und Unterstützung in ihre Nichtexistenz zurück zwingen.
Die Public Netbase hätte eine neutrale und harmlose Institution werden
können wie hunderte andere, sich auf die Zunge beißend, um die Gelder
weiterhin fließen zu lassen. Aber jene, die an ihren dissidenten
Vorstellungen gearbeitet hatten, zogen es vor, den mythischen Status
einer beispielhaften Gegeninstitution einzunehmen und die Resignation
eines verfehlten Abenteuers zurückzuweisen, das auch nach seinem Tod
weiterlebt, ganz so wie auch die gewöhnlichen Vampire. Im Geiste der
Ursprünge des Projekts auf einem Spitalsserver wollten sie die
Mullbinden und Verbände von den medien-abgenutzten Augen der
Gesellschaft ablösen – den Schleier der ästhetischen Selbstgefälligkeit
zerreißen, der die Hardware des "Engineered Consent" verhüllt. Let it rip!
Brian Holmes ist Aktivist und Kunstkritiker, lebt in Paris.
Übersetzung: Christine Mayer
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